Die
schönste Daphne aller Zeiten und der Flüchtling
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Roman
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FRESSEN
UND... (Teil 2)
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Nach
einigen Jahrzehnten wurde die Säule von einem Blitz getroffen und
um ein Drittel seiner Höhe reduziert. Da der Stein mehrere Risse
bekam, wurde er mit mehreren Eisenringen befestigt. Statt der ursprünglichen
Statue wurde oben ein Kreuz aufgebaut.
1453 griffen die Osmanen die Stadt an. Ein Teil der Zivilbevölkerung
sammelte sich mit Kind und Kegel unter der Säule und betete. Es
sollte ein Engel vom Himmel herunterkommen und die Leute vor den Barbaren
schützen.
Der Engel kam nicht, aber die Janitscharen. Sie trennten die Köpfe
von den Körpern und machten daraus Pyramiden. Natürlich wurde
auch das Kreuz entfernt.
Im neunzehnten Jahrhundert wurden auch die Janitscharen selbst Opfer
eines brutalen Massenmordes in Kostantiniyye.
Hier in Tschemberlitasch, in einer Seitengasse befand sich auf der rechte
Seite ein zweistöckiges Holzhaus, das Istanbuler Gemeinde Konservatorium.
Hier studierte ich Schauspiel.
Gegenüber,
auf der linken Seite befand sich das Pierre Loti Kahvesi (=Kaffeehaus).
Hier soll einst der französische Marine Offizier und Bestsellerautor
des 19. Jahrhunderts Pierre Loti täglich seinen Kaffee getrunken
haben. Dieses Lokal war eine Rarität, eine Mischung von Wiener
Kaffeehaus und Konditorei. Eine Spezialität war der kalte Pudding
mit Streifen aus Brustfleisch der Hühner. Auch eine fleischlose
warme und fette Hühnersuppe mit Suppennudeln war geboten. Ansonsten
beschränkte sich die Kulinarik auf Mehlspeisen. Hier konnte man
gratis Tageszeitungen lesen. Nur noch in einem einzigen Kaffeehaus in
Taksim wurde diese Tradition noch immer gepflegt. Die Zeitungshalter
aus Bambus der Wiener Kaffeehäuser waren in Istanbul unbekannt.
Hier konnte Man/Frau auch Kaffee trinken. Ja, hier waren auch Frauen
unter den Gästen. So habe ich ein paarmal meine letzten Münzen
zusammengekratzt und eine Freundin auf einen Hühner-Pudding eingeladen.
Wie
gesagt, Pierre Loti war ein einzigartiges Lokal. Ansonsten waren in
Istanbul um jede Ecke und auch im entferntesten Dorf in Anatolia Kahvehane
(=Kaffeehäuser) vorhanden.
Kaffeehäuser?
Diese uralte osmanische Kultur lebte bis zur Proklamation der sogenannten
Republik der Türkei. Jetzt wurde Osmanisch und die
Sprachen der mehr als 50 verschiedenen Völker des Landes verboten.
Eine neue Sprache Türkisch wurde erfunden. Als nächsten
Schritt befahl Atatürk, eine türkische Kultur zu erfinden.
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Arbeiter
tragen einen Diktator-Kopf, 1933
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Trotz aller Bemühungen haben die Türken bis heute
noch immer nicht geschafft, außer um jede Ecke aufgestellte Atatürk
Denkmäler eine nationale Kultur aufzubauen.
Um eine neue Kultur zu schaffen, musste erst die alte zerstört
werden. Atatürk war nicht nur bei dem physischen, auch bei dem
kulturellen Genozid bereits zu seinen Lebzeiten sehr erfolgreich.
Zu meiner Jugend
waren die Kaffeehäuser unter dem Namen Kaffeehaus zu
Teehäuser umgewandelt. Nur in einigen wenigen war Kaffee angeboten,
aber wurde selten verlangt.
Was blieb von der
alten Tradition übrig? Russischer Samowar, schwarzer Tee, Backgammon
und andere Glückspiele. Und die den ganzen Tag für ein Glas
Tee herumsitzenden Massen der Arbeitslosen. Und aus!
Was war in einem
osmanischen Kaffeehaus angeboten? In den kleinen Kupfertöpfen mit
langem Stiel auf Holzkohle gekochter Kaffee. Nur das überlebte
unter dem Namen türkischer-, griechischer-, armenischer-, bosnischer-
etc. -Kaffee bis heute.
Aber auch Tee. Und
Wasserpfeife. Wasserpfeife konnte man noch nur in einem einzigen Kaffeehaus
unter der Galatabrücke rauchen. Nachgebaute Wasserpfeifen wurden
in Grandbazar für die Touristen angeboten.
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Bereits Sultan Suleyman der prächtige lässt die Kaffee
beladenen Schiffe im Istanbuler Hafen mit Kanonen beschießen
und versenken. Denn die Kaffeehäuser waren Treffpunkt der
Intellektuellen, also konspirative Zentren.
Trotz zeitweiliger
Versuche konnte der osmanische Hof die Kaffeehäuser niemals
ausrotten. Stattdessen wuchs eine Vielfalt dieser Kultur, bis
die Republik der Türkei alles niederwälzte.
Bis zu den ersten Genoziden im neunzehnten Jahrhundert saßen
Muslime, Christen und Juden zusammen. In diesem Jahrhundert wurden
manche Kaffeehäuser zu Opiumhöhlen.
1857 öffnete
ein Armenier namens Sarafim Efendi ein Kaffeehaus. Hier war eine
Bibliothek. Die Tageszeitungen und Zeitschriften der Zeit wurden
nicht nur täglich aufgelegt, sondern auch archiviert. Bald
wurde Sarafim Treffpunkt der Literaten.
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Kaffeehaus
Sarafim
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Kaffeehäuser
waren auch Kulturstätten des städtischen Mittelstands.
Die Meddah (=Lobender),
lobten den jeweiligen Sultan und erzählten Geschichte und Geschichten.
Sie gestikulierten stark und erzeugten aus ihrem Körper alle
zum Geschehnis zugehörigen Geräusche.
Hier war auch
Karagöz (=Schattentheater) zu sehen.
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Hauptfiguren
des Schattentheaters: Karagöz und Hadschivat
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Das
Spiel in der Mitte
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Aber auch Orta Oyunu
(=Das Spiel in der Mitte des Publikums). Das war ziemlich verwandt mit
der italienischen Commedia dellarte.
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Indsche
Saz
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Im Kaffeehaus konnte
man auch Indsche Saz (= wörtlich feine Instrumentierung,
gemeint Kammermusik der Maqamat) hören. Die Wurzeln der Maqamat-Musik
(=Modale Musikkultur) gehen bis zu Mesopotamien zurück. Übernommen
von Byzanz, durch die Sephardim mit spanischer Musik, weiterhin mit arabischen,
persischen, rumänischen
-Musikkulturen angereichert, entwickelte
sich die Kunstmusik in Konstantinopel zur einem der größten
geistlichen Weltkulturerben der Menschheit. Die Musiker praktizierten
auch bei den jeweiligen Liturgien ihrer Gebetshäuser. Die besten
Musiker arbeiteten Jahrhunderte lang nicht nur am Hof, sondern auch in
Lokalen des Mittelstandes und in den Klöstern der Mewlewis zusammen.
Atatürk schaffte
es, diese uralte Kultur nicht nur zu verbieten, sondern sogar bis zu ihren
letzten Spuren zu vernichten. Die letzten Meister holte er mit Soldaten
zu seinen Saufgelagen mit seinen Lakaien, ließ sie spielen, verspottete,
und drohte ihnen mit umbringen. Heute, wenn ich von Ince Saz
spreche, wissen nur die letzten Spezialisten von meiner Generation, wovon
ich rede. Mit uns wird diese Musik enden und verstummen für die Ewigkeit.
Kaffee kam nach Wien
aus Istanbul. Die Wiener aber schufen nicht nur eine Vielfalt der Zubereitung
des Getränks, sondern auch eine großartige Kaffeehauskultur.
Und das lebt heute noch immer.
In Wien waren noch immer Literaten-Kaffeehäuser lebendig. Frisch
eingelangt in Wien, in dem Kaffeehaus in der Schönlaterngasse, gegenüber
der alten Schmiede, durfte ich u. a. Ingeborg Bachmann kennenlernen. Das
Kaffeehaus Hawelka war ein Künstlertreff.
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Wenn ich von
Pierre Loti nach links, bzw. von Cagaloglu nach rechts Richtung
Universität ging, ging ein barfüßiger Junger Mann
neben mir und schrie: Lachmacun!. Mit der rechten Hand
trug er eine ovale Holzkiste. Drin sind die Lahmacun. Das ist eine
Art Fladenbrot, mit einer Soße von Fleisch und Tomaten bestrichen.
Darauf sind verhackte rohe Zwiebeln. In seinem verzerrtem Gesicht
konnte man seine stehenden Hühneraugen an seinen Sohlen sehen.
Er wird heute die ganze alte Stadt durchmarschieren. Ob er eine
halbwegs warme Schlafstelle hat, weiß ich nicht. Er muss sich
Morgen beim Sonnenaufgang vor einer bestimmten Bäckerei hinter
anderen Jungen anstellen. Seine Kiste wird wieder mit frischen Lahmacun
gefüllt.
Es gab aber
auch manche Feiertage, an denen ich mit ein paar Genossen nach Beyoglu
ging. Das alte byzantinische Pera wurde im neunzehnten Jahrhundert
zu einem Vergnügungsviertel neu umgebaut. Jetzt hieß
es Beyoglu (=Herrensohn). Zu meiner Zeit hieß
es Istiklal Caddesi (=Straße der Unabhängigkeit).
Atatürk nannte seine Genozide an den anatolischen Völkern
Unabhängigkeitskrieg.
Hier gab es die Tschitschek
Pasaji (=Blumenpassage). Hier war im neunzehnten Jahrhundert zuerst
das französische Bosco Theater, danach das berühmte Naum-Theater,
wo Giuseppe Donizetti Pascha als Musikdirektor tätig war. Das
Theater gehörte Mihail Naum, vermutlich ein Armenier. 1870
verbrannte Beyoglu, und auch das Naum Theater. Der griechische Bankier
Hristaki Zografos Efendi kaufte das Grundstück und lässt
den ebenfalls griechischen Architekten Cleanthy Zanno hier ein für
damals sehr modernes Gebäude, Cité de Péra bauen.
Im oberen Stockwerk waren Luxuswohnungen, unten diverse Nobelgeschäfte.
Das Haus wurde in der Mitte mit einer Glaskuppel bedeckt. Wenn man
von Beyoglu hineinkam, konnte man bis zur Theater Gasse durch gehen.
Darum nannte man sie Hristaki-Passage. Nach dem Militärputsch
im Jahr 1908 war der Besitzer plötzlich der damalige Großwesir
Kleiner Said Pascha. Wie dieser Besitzwechsel stattfand, konnte
ich nicht eruieren.
Nach dem ersten
Weltkrieg wurden hier mehrere Floristen angesiedelt. Darum hieß
sie Blumenpassage. Ab neunzehnvierzig bis neunzehnfünfzig sind
die Floristen weggewandert und in ihre Geschäfte mehrere Weinhäuser
angesiedelt.
Zu meiner Jugend
war hier ein großes Bierhaus, das einzige in Istanbul mit
Fassbier und Krügel Gläsern.
Eine Dame spielte
Akkordeon und sang Pariser Musette. Unter den Gästen waren
Schauspieler, Maler, Literaten usw. zu treffen.
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Madam
Anahit. Bei der Zerstörung von Tarlabaschi verlor auch sie ihr Haus.
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Tschitschek-Passage
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Am Eingang wurden
in einer Riesen Pfanne frische Muscheln, je vier Stück auf
einem dünnen Holz Spies, in Bierteig frittiert. Obwohl ich
seit fünfzig Jahren sowas nicht mehr gesehen habe, kann ich
mich an den Meeresduft und nussigen Geschmack der knusprigen Muscheln
noch immer erinnern, wie wenn ich sie heute gegessen habe.
Wenn man Istiklal
Caddesi durch die Seitengassen verlässt, gelangte man zum Grätzel
Tarlabaschi (=Beginn des Feldes). Auch hier wurden die Häuser
im neunzehnten Jahrhundert gebaut. Hier lebten fast ausschließlich
Griechen, Armenier und Juden. Bei dem Pogrom am 7. September 1955
wurden mehrere von ihnen verprügelt und umgebracht. Ihre Geschäfte
und Häuser wurden ausgeplündert. Danach wanderten einige
aus. Zu meiner Jugend lebten aber viele der überlebenden noch
immer hier.
Vor einigen
Jahren wurde das letzte Grätzel der "Ungläubigen"
in Istanbul, samt ihren kunstvollen alten Häusern, nach Anordnung
Erdogans zum Teil zerstört, zum Teil hinter Stahlparavanne
gestellt und dem Zerfall überlassen. Die Bewohner wurden einfach
auf die Straße gesetzt.
Hier gab es
auch einen Gavur Pazari (=Markt der Ungäubigen).
Auf einem kleinen Platz breiteten die Heidnischen Ihre
Waren unter freiem Himmel aus. Auch die Kunden waren nur heidnisch,
und ich.
Manchmal brachte ich meine GenossInnen aus muslimischen Elternhäusern
hier her und spielte Kulturvermittler. Manche schrumpften
ihre Gesichter, aber manche waren begeistert. Wir füllten unsere
Netze hier mit kalten Speisen an, kauften einen Laib Brot bei der
nächsten Bäckerei, und dann einen Doppler Wein und feierten
Feste. Dazu sangen wir kommunistische Märsche.
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Frittierte
Muscheln
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Tarlabaschi
heute und syrische Flüchtlinge
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Was
war hier nicht angeboten? Gefüllte Weinblätter, Paprikas,
Melanzani, Tomaten
Aber
auch gefüllte Muscheln mit Reis, Rosinen, Nüssen und Gewürzen.
Verschiedenste Arten von schwarzen und grünen Oliven. Jambon
de Paris aus Schweinsschinken, Speck, Schweinswürsteln
Verschiedenste Arten von geräucherten, getrockneten und eingelegten
Fischen
Meine
Lieblingsspeise war aber Lakerda (=Mittelgriechisch oder byzantinisch
Lakerta). Lakerda konnte ich in den osmanischen Handschriften vom
sechzehnten Jahrhundert antreffen. Damals zogen jedes Jahr Torik
(=Pelamide oder Bonito)-Schwärme durch Istanbul. Man schnitt
den Fisch in Scheiben, gab sie in ein mit Salz gefülltes Holzfass,
nach einigen Wochen sorgfältiger Behandlung wurden die Scheiben
gründlich gewaschen und in Olivenöl eingelegt. Lakerda
wurde mit roten Zwiebelscheiben serviert.
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Lakerda
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Auch Meyhane
(=Weinhaus) war eine uralte Kultur in der Hafenstadt Konstantinopel.
Zur meiner Jugend war davon sehr wenig übriggeblieben. Eine
Art davon war Koltuk-Meyhanesi (=Axel-Weinhaus). Sie waren an den
viel frequentierten Straßen der Stadt, aber fast absichtlich
verstecke kleine Läden. Die Gäste waren fast ausschließlich
Pensionisten. Ich war immer der einzige Student dort. Die alten
Männer standen an der Theke und diskutierten über die
Weltpolitik. Der Wirt schenkte offene Staatsmonopol Weine aus Flaschen
in die unzerbrechlichen Viertelgläsern aus der staatlichen
Paschabahce Glasfabrik.
Zum Essen wurde
kaum etwas geboten. Ein fünfzehnjähriger Bub brät
auf einem kleinen Benzinbrenner grüne Paprika. Das war alles.
Aber gleich
vor der Tür auf dem Gehsteig saß ein alter Mann auf einem
griechischen Hocker mit geflochtenem Stroh. Vor ihm stand ein Glaskasten.
Der Mann kaufte am Abend in einem Innereien-Geschäft Schafsköpfe,
in aller Frühe ließ er sie in einer Brotbäckerei
grillen, und ab Mittag saß er vor dem Weinhaus. Bevor man
in das Weinhaus hinein ging, kaufte man von ihm einen gegrillten
Schafskopf und ein halbes Brot. Der Verkäufer packte alles
in Zeitungspapier und steckte das Ganze unter die Axel der Kunden.
Darum hießen die Geschäfte Axel-Weinhaus.
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Vermutlich
letztes Koltuk-Meyhanesi,
Foto aus
Google-Suche
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Wie ich nach
Wien kam, waren auch hier mehrere Weinhäuser. Sie waren viel
größer, und waren nicht versteckt. Sogar an den Außenmauern
mit großen Weinfässern dekoriert. Auch hier waren Pensionisten
die Gäste, aber auch Pensionistinnen. Hier konnte man an den
alten Holztischen sitzen. Die verrauchte Atmosphäre war ähnlich
wie in Istanbul. Auch hier war ich öfters und war der einzige
Student.
Nach einigen
Jahren haben alle Weinhäuser in Wien ihre Stellen an Bankfilialen
oder Supermärkte überlassen.
Heurige und Weinkeller waren in Istanbul nicht zu Hause.
Dafür aber
die Nobel-Weinhäuser. Das berühmteste davon war das Meyhane
in Fenerbahce/Kadiköy von dem noch nicht ausgewanderten Griechen
Todori. Hier konnten auch Frauen Gäste sein. Hier fanden Jubiläen,
Geburtstage, Junggesellen-Treffen und ähnliches statt.
Es wurde das
feinste von der traditionellen griechischen Küche geboten.
Aber ich hatte keine reichen Freunde, die mich zum Todori´s
Weinhaus mitnahmen und ich war leider niemals dort.
In meiner Abwesenheit
wurde Istanbul sehr verändert. Nachdem die türkische Armee
die kurdischen Gebiete in der Türkei zerstört hat, wanderten
Millionen von KurdInnen nach Istanbul ein. Leider können diese
entwurzelte Menschen hier ihre Kultur nicht mehr pflegen. Sie dürfen
nicht einmal ihre Sprache sprechen.
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Weinhaus
Todori
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Die kulturelle Tradition Istanbuls ist vollkommen erloschen. Istanbul
war in seiner fast zweitausend Jahre alten Geschichte niemals so
islamisiert wie heute. Vor kurzem wurde auch die Hagia Sophia zur
Moschee umgewandelt und historische Kunstwerke zugedeckt. Die Touristen
können heute nur die leerstehenden Betonmoscheen für mehrere
Tausend Gläubiger und penisförmige Erdogan-Denkmäler
aus Beton und glitzerndem Kunststoff bewundern. Die Weinhäuser
sind sogar in Beyoglu (=Historisches Vergnügungsviertel) verschwunden.
Dafür gibts aber im Supermarkt ein neues Getränk
für die Muslime: Aus Saudi-Arabien importierten Kamelen Harn
im Tetrapack.
Wie ich hierher
kam, war Wien eine verschlafene Provinzstadt.
Um zweiundzwanzig
Uhr sperrten die Hausmeister die Haustore. Dann schlief das ganze
Wien. Nur, zum Unterschied zu Istanbul verhungerte hier niemand.
Heute kann man in Wien chinesisch oder mexikanisch essen, sogar
in türkischen Lokalen Speisen der osmanischen Tradition.
Alte Baudenkmäler werden immer wieder restauriert und stehen
unter Denkmalschutz. Vor allem hat hier nicht einmal Hitler versucht,
die alte Musiktradition auszulöschen.
Ich schreibe
diese Zeilen in einem kleinen Haus am Waldrand am Land. Manchmal
bekomme ich Sehnsucht nach Wien. Ich sitze im Rollstuhl und kann
das Haus allein nicht verlassen. Ich werde nie mehr am Donaukanal
stundenlang Rad fahren, am Hannover Markt bosnisches Burek essen,
auf dem Hügel vom Kahlenberger Dorf die ganze Nacht Zikaden
hören und die schönste Frau der Welt lieben, im Uni Campus
mit den weltrangigen WissenschaftlerInnen diskutieren
Wenn
ich Glück habe, kommen alle paar Jahre ein paar liebe Menschen
zu mir, stecken mich ins Auto und bringen mich nach Wien.
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Meze
(=Vorspeisen) in Todori
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Manchmal bekomme ich
auch Sehnsucht nach dem alten Istanbul. Wenn ich dortgeblieben wäre,
wäre ich sicher jetzt nicht mehr am Leben.
Manchmal bekomme ich Nachrichten von dem jetzigen Istanbul. Ich bekomme
keine Sehnsucht, aber Angst.
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was
bisher geschah |
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